Dafür doch nicht
Heute Vormittag hörte ich es gleich zu Anfang des Weihnachtseinkaufs und dann gleich mehrere Male am Tag: Ich stand im Elektrofachhandel und suchte eine elektrische Lampe für Christines neue Studierstube aus, die sie unter dem Weihnachtsbaum (nicht elektrisch) finden soll. Zusätzlich zur Lampe erhalte ich eine Glühbirne geschenkt. Angeknipst strahlt auf dem Glühbirnenglas ein niedlicher, grünrötlicher Weihnachtsmann. „Oh - danke," sage ich und da kommen sie dann, diese Worte „... aber dafür doch nicht." „Aber dafür doch nicht...." ist nicht nur ein Phänomen dieser Zeit von Advent und Weihnachten, in der der Haufen gekaufter Geschenke wächst durch Werbegeschenke. Diese merkwürdigen Worte lassen sich seit einiger Zeit und immer mehr hören. Meist sind es kleine Gefallen wie das Ausleihen einer Trittleiter oder der winzige Blumengruß zum Anfang eines Arbeitstages. Kürzlich am Nikolaustag fand ich - von Studenten - Studentenfutter mit Nüssen auf dem Tisch. Und jedes Mal, wenn ich mich freute und dies im Dank äußern wollte: „Aber dafür doch nicht.“ Genau vor 50 Jahren - 1945- gab es genauso solche Zeit wie jetzt: Advent, Weihnacht. Nur eben 1945. Und für was bedankte man sich nicht bereits damals, glücklich, über- überrascht, schwenglich? Wer eine Zigarettenkippe wegwarf, wusste nicht, wie denen zumute ist, die sich danach bücken... (schreibt Christine Brückner). Und Großvater Wilhelm erzählte, dass in Celle diejenigen Brikettstücke ein Riesengeschenk waren, die man anstelle Eintrittsgeld mitbringen musste, wollte man Yehudi Menuhin im Landgestüt Celle mit den Solo-Partiten von J. S. Bach erleben. Im Stallgang, wo die Wärme der die seelische Hengstkörper Wärmkraft der Musik potenzieren half. Nun hinken alle Vergleiche mit jener Zeit zur heutigen, und schon gar nicht sollte die Weihnachtskultur von (Tabak-) Kultur so abhängig sein wie damals. Auch nicht mit „Klassik-Grundausrüstung" im sensationell günstigen Sonderweihnachtspäckchen zu genau 100 CDs inclusive Video- Clip mit den Menuhins bzw. Frantzes unserer Zeit. Wieviel muss etwas heuer kosten oder wie groß muss der Gefallen sein, um ein „Danke" nicht sozusagen zurückgewiesen zu bekommen? Bei postalisch zugesandten Werbekugelschreibern und Jahreskalendern, Eintrittskarten oder Probiersets für Kekse, da Schnaps und Zahnpasta denke ich mir dann auch: „Dafür doch nicht..." Aber wenn ein lebendiger Mensch uns etwas tut oder gibt, wozu keine Pflicht besteht? Da werde ich auf meinem Dankeschön bestehen und so antworten, wie Tante Maria, wenn sie sich bedankt und auf der anderen Seite hört: „Dafür doch nicht..." Tante Maria sucht dann erst recht den Blickkontakt zu dem Gegenüber und sagt dann bedauernd: „Ach - schade, dass ich mich nicht bedanken darf. Ich dachte, Sie hätten es wirklich besonders freundlich mit mir gemeint." PS: Ich habe den grünrötlichen Weihnachtsmann auf der Glühbirne gleich zuhause heimlich ausprobiert und weiß, wem ich den weiter schenken werde. In der Hoffnung, dass dies Geschenk ankommt". Mitsamt meinen Wünschen für ein - in welcher materiellen oder geistigen oder emotionalen Richtung auch immer buchstäblich: dankens-wertes Fest.
12. Dezember 1995